Einsamkeit vorbeugen
Das Altern bringt Einschränkungen mit sich. Körperlich und womöglich auch geistig läuft häufig nicht mehr alles so reibungslos. Der eigene Aktionsradius wird gezwungenermaßen zunehmend kleiner. Wenn dann auch noch immer mehr Weggefährten sterben, läuft so mancher Gefahr, irgendwann zu vereinsamen. Alleinsein ist das eine und für viele gut auszuhalten oder sogar erholsam. Sich von der Außenwelt abgeschnitten und einsam zu fühlen, ist das andere und weder gut für die seelische noch für die körperliche Gesundheit. Doch es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie Du Deinen zu pflegenden Angehörigen unterstützen und vor Einsamkeit bewahren kannst.
Wann ist jemand einsam?
Einsamkeit ist nicht zu verwechseln mit Alleinsein. Viele Menschen sind gerne mal allein und brauchen nicht permanent Kontakt zu anderen. Das Empfinden dafür, wie viel sozialer Kontakt nötig ist zum Glücklichsein, ist individuell sehr unterschiedlich.
Wer aber wiederholt beziehungsweise über einen längeren Zeitraum ein schmerzvolles inneres Alleinsein und tiefes Sehnen nach wohltuendem Kontakt verspürt, ist definitiv einsam. Und das tut gar nicht gut.
Gut zu wissen: Ein Gefühl von Einsamkeit kann tatsächlich auch in Gesellschaft aufkommen. Einsamkeit lässt sich also nicht schlicht an der Zahl von Sozialkontakten festmachen.
Krank durch Einsamkeit
Sich einsam zu fühlen, ist nicht einfach nur lästig oder ein bisschen traurig. Auf Dauer macht es krank. Einsamkeit kann zu emotionalem und sogar auch zu körperlichem Schmerz führen. Der ist sogar messbar, denn er spiegelt sich im Gehirn in gleicher Weise wider wie eine Verletzung.
Das Gefühl von Einsamkeit kann zur Ausschüttung von Stresshormonen führen, mit allen Konsequenzen, darunter erhöhter Blutdruck, Schlafprobleme, Immunschwäche, Ängste oder verstärkte Demenzsymptome. Studien legen nahe, dass chronische Einsamkeit sich ähnlich ungünstig auf die Gesundheit auswirken kann wie langjähriges Rauchen, Alkoholabhängigkeit oder massives Übergewicht.
Einsamkeit erkennen
Oft tun sich Senioren schwer zuzugeben, wenn sie sich einsam fühlen. Viele haben nie gelernt, über ihre Gefühle zu reden geschweige denn Schwäche zu zeigen. Es gibt aber kleine Anzeichen für drohende Vereinsamung - und je früher Du diesen begegnest und Positives entgegensetzt, desto besser. Wenn Dir zum Beispiel auffällt, dass Dein Angehöriger nichts Neues mehr zu erzählen hat, Hobbys nicht mehr nachgeht oder nicht mehr so auf sein Äußeres achtet wie früher, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass er kaum noch Kontakt zu anderen hat.
Wenn Eure Beziehung zueinander es zulässt, frage Deinen zu pflegenden Angehörigen in einem ruhigen Moment, ob er sich manchmal einsam fühlt. Vielleicht kann er auf die direkte Frage ehrlich sagen, falls er negative Gedanken hat wie:
- Es klappt ja eh kaum noch etwas, also kann ich auch keinem Hobby mehr nachgehen.
- Ich falle allen nur noch zur Last, da bleibe ich lieber zu Hause.
- Ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen, weil ich immer weniger schaffe.
- Ich bleibe lieber allein, weil ich Gesprächen immer schlechter folgen kann.
- Ich bin manchmal einsam und hätte gerne mehr Kontakte, weiß aber nicht, wie das gehen soll.
Überlegt gemeinsam, was Ihr tun könntet, damit dein Angehöriger wieder mehr unter Leute kommt.
Unter Tipp: Ermuntere alle älteren Angehörigen, regelmäßig ihre Hörfähigkeit prüfen zu lassen und bei Bedarf ein Hörgerät auch wirklich zu tragen. Das schützt nachweislich vor Einsamkeit.
Mit „EASE“ gegen Vereinsamung
Einsamkeit ist kein Randphänomen, insbesondere nicht im höheren Alter. Das hat auch der amerikanische Psychologe und Einsamkeitsforscher John Cacioppo erkannt und mit „EASE“ ein Modell entwickelt, um aus der Einsamkeit wieder herauszukommen. Der Begriff EASE ist eine aus dem Englischen stammende Abkürzung und steht für:
- E wie Extend – den Aktionsradius erweitern
- A wie Action – selbst aktiv werden
- S wie Select – bewusst wählen, was man unternehmen möchte
- E wie Expect the best – das Beste erwarten
Das Modell rät, zunächst den Aktionsradius zu erweitern, etwa durch stückchenweises Austesten in sicheren Umgebungen. In überschaubaren sozialen Situationen positive Erlebnisse und Gefühle zu haben, gibt Sicherheit und macht Mut und Lust auf mehr.
In der Folge geht es darum, in die Aktivität zu kommen und ganz bewusst die Möglichkeiten auszuwählen, bei denen es sich ganz subjektiv wirklich lohnt, sie weiterverfolgen.
Unser Tipp: Sag Deinem Angehörigen, dass Träumen ausdrücklich erlaubt ist. Vielleicht ist nicht alles Erträumte umsetzbar. Als Inspiration und Motivation ist aber alles willkommen.
Es ist vielleicht einfacher gesagt als getan, aber ein zentrales Element von Cacioppos Modell: Letztlich gilt es, stets das Beste zu erwarten. Wer mit einer positiven Erwartungshaltung großzügig und freundlich in die Welt hinaus und auf Mitmenschen zu geht, wird auch so empfangen werden, sagt John Cacioppo.
Angebotsvielfalt
Jahrzehntelang war es die Altersgruppe der Über-75-Jährigen, die besonders von Einsamkeit betroffen war. Nicht nur körperliche Gebrechen wie etwa Gelenkschmerzen oder Blasenschwäche, sondern auch Einschränkungen wie Schwerhörigkeit, nachlassende Sehkraft oder auch finanzielle Probleme können die soziale Teilhabe am Leben zunehmend erschweren. Wer einen Pflegegrad hat und damit meist auch eingeschränkt ist in seiner Bewegungsfreiheit, läuft abseits der Kontakte zum Pflegedienst noch stärker Gefahr zu vereinsamen.
Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind mittlerweile aber gar nicht mehr so stark ausgeprägt wie früher. Das mag auch daran liegen, dass es heutzutage eine Vielzahl von Möglichkeiten für Senioren gibt, um bestehende soziale Kontakte zu erhalten oder neue zu finden. Smartphone-Nutzung und Online-Angebote spielen dabei eine zentrale Rolle.
Unser Tipp: Schau doch mal, ob Dein Angehöriger aufgeschlossen gegenüber Diensten wie Signal oder WhatsApp ist. Dann könnt Ihr immer mal zwischendurch unkompliziert miteinander schreiben oder auch Fotos austauschen. Vielleicht ist es auch möglich, auf diesem Weg alte Bekanntschaften wieder aufleben zu lassen.
Klassisch persönlich
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten für Deinen Angehörigen, auch im Alter noch neue Kontakte zu knüpfen. Schlage ihm zum Beispiel vor:
- ein Ehrenamt zu übernehmen
- ein neues Hobby zu finden
- Seniorentreffs und ähnliche Angebote vor Ort zu nutzen, etwa von der Gemeinde oder der Kirche
- Angebote an der Volkshochschule wahrzunehmen
- eventuell die Wohnsituation zu verändern, vielleicht eine Pflege-WG zu gründen, zum Beispiel gegen gelegentliche Hilfe einen Studenten bei sich wohnen zu lassen oder auch den Umzug in ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt in Erwägung zu ziehen
- speziell für Senioren oder Pflegebedürftige organisierte Ausflüge oder Urlaube in Betracht zu ziehen, etwa über Vereine, Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden oder Anbieter wie Reisemaulwurf oder Urlaub & Pflege
- bei höherem Pflegebedarf Angebote der Tagespflege zu besuchen für Gesellschaft und Input
Telefonische Gespräche
Es gibt eine Reihe von Telefonangeboten gegen Einsamkeit. Bei allen kann man einfach anrufen und ein bisschen plaudern, darunter:
- Johanniter-Zuhör-Telefon: 0228 96172394, Montag und Donnerstag von 14.00 bis 17.00 Uhr
- Silbertelefon: kostenfreie Rufnummer 0800 4 70 80 90, täglich von 8 bis 22 Uhr
- Silbernetz-Freundschaft, vermittelt vom Silbernetz
- Malteser Plaudernetz: Täglich von 10 bis 22 Uhr, kostenfreie Rufnummer 0800 330 1111
- Malteser Telefonbesuch: bringt ältere Menschen mit Ehrenamtlichen für regelmäßigen Besuch per Telefon zusammen
Online-Angebote
Wenn Dein Angehöriger modernen technischen Möglichkeiten gegenüber aufgeschlossen ist, sind auch diverse virtuelle Varianten denkbar, die Du aufzeigen kannst:
- Umgang mit Handy, Tablet und / oder Computer erlernen
- online neue Kontakte in der Gegend finden, etwa über Online-Netzwerke wie nebenan oder nextdoor
- online in speziellen Partnerbörsen für Menschen ab 50 nach einem neuen Partner suchen, zum Beispiel über Platinnetz, Lebensfreude 50 oder Zweisam
- Online-Seniorentreffs besuchen
- digitale Treffen via Zoom oder ähnliche Programme
Unser Tipp: Der Verein „Wege aus der Einsamkeit“ bietet zum Beispiel kostenlose Schulungen für Smartphone und Tablet an sowie regelmäßige virtuelle Treffen für Über-65-Jährige, aber auch analoge Veranstaltungen.
Eigeninitiative
Es gibt viele Möglichkeiten, Einsamkeit zu begegnen und sie zu überwinden. Das Wichtigste, um Einsamkeit entgegenzuwirken, ist aber Eigeninitiative. Was sich einfach anhören mag, ist nicht selten eine enorme Hürde. Denn Du kannst Deinen Angehörigen schlecht dazu zwingen, mehr Kontakte zu suchen und unter Leute zu gehen oder auch mal von sich aus anzurufen. Du kannst ihm Vorschläge und Angebote machen – aber handeln oder wenigstens mitmachen muss er selbst.
Mach Dir außerdem bewusst: Angehörige können nicht alles allein auffangen. Du kannst Deinem Angehörigen helfen, loszulegen, mögliche Anfangsschwierigkeiten hinter sich zu lassen und neue zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen, wenn er sich mehr Kontakte wünscht. Aber Du kannst den Weg nicht für Deinen Angehörigen gehen. Schau daher, was für Euch und insbesondere auch für Dich und Dein Zeitmanagement ein guter Weg ist.
